Wenn Du im Internet nach Hilfe für Trauernde und Impulsen, um Trauer zu bewältigen suchst, dann wirst Du relativ schnell Beiträge über die Phasen der Trauer und unterschiedliche Trauerphasen-Modelle finden. Diese haben alle auch ihre Berechtigung. Mir geht es in diesem Artikel nicht darum, zu vergleichen oder Dir zu sagen, welches Trauerphasenmodell aus meiner Sicht am besten geeignet ist, um Trauer zu verstehen und Trauer gesund zu verarbeiten.
Sondern ich möchte mit diesem Artikel den Blick auf Trauer werfen jenseits von typischen Phasenmodellen und Dir helfen zu verstehen, was Trauer ist und was nicht und wie Du mit dem Tod eines geliebten Menschen gesund umgehen kannst.
Inhaltsverzeichnis
3 Mythen über Trauer – Trauer richtig verarbeiten
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Dies zeige ich Dir anhand von drei Mythen über Trauer, die mir in meiner Arbeit als Trauerredner und in der Trauerbegleitung häufig begegnen.
Am Ende des Artikels wirst Du verstehen, dass Trauer ein normaler und gesunder Prozess ist. Dass Trauer nicht nur ein Gefühl ist, sondern auch Transformation bedeutet und neben allem Schmerz und Leid auch eine Chance auf Wachstum ist.
Mythos Nr. 1: Trauer ist eine Krankheit
… oder gar ansteckend. “Nee, da rufe ich lieber nicht an. Das zieht mit doch total runter.” Wenn Du eine trauernde Person in Deinem Umfeld hast, dann mag Dir dieser Gedanke vielleicht auch bekannt vorkommen.
Ich finde es immer wieder faszinierend, wie sich schlagartig die Gesichtszüge bei meinem Gegenüber ändern, wenn ich Fremden zum ersten Mal von meiner Arbeit als Trauerredner erzähle. Dabei bin ich mir manchmal nicht sicher, ob es ein mitleidiger Blick ist oder einer der sagen will “Bleib mir bloß weg mit dem Thema.”
Über Trauer spricht man in der Regel nicht gern. Genauso wie über Krankheiten oder körperliche Symptome, die wir zwar registrieren, aber nicht so recht wahrhaben wollen und versuchen zu ignorieren. Bis uns dann irgendwann nichts anderes übrig bleibt als hin zu schauen.
Was passiert mit dem Körper bei Trauer?
Trauer ist ein normaler und gesunder Prozess zur Verarbeitung eines Verlusterlebens unterschiedlicher Art. Wie die folgenden Auflistungen zeigen, sind die Trauersymptome innerhalb dieses Prozesses auf körperlicher und kognitiver Ebene sehr vielfältig und komplex. Das gilt natürlich auch für die emotionalen Trauerreaktionen. Aber dazu später mehr.
Körperliche Trauersymptome
- auffälliger Umgang mit dem Grab (ggf. phobisch oder zwanghaft)
- erhöhte Aktivität
- Essattacken
- fluchtartiges Reisen
- Geräuschempfindlichkeit
- hängende oder hochgezogene Schultern
- konkretes Suchen nach dem Verstorbenen
- Kurzatmigkeit
- langsames Bewegen
- Müdigkeit
- Mundtrockenheit
- Nahrungsverweigerung
- nicht mehr nach Hause kommen, weil unerträglich
- nur noch unterwegs sein
- psychosomatische Störungen
- Reizoffenheit
- Rückzug
- Schlaflosigkeit
- Schmerzen (Kopf, Rücken)
- Selbstvernachlässigung
- stier blicken
- Stürzen in die Arbeit
- Suchtverhalten
- Suizid
- Träume
- Übelkeit / Erbrechen
- Umherirren
- viel sprechen
- wenig sprechen
- Zimmer belassen
- Zimmer komplett ändern
Kogntitive Trauersymptome
- Alle inhaltlichen und formalen Denkstörungen
- Denken auf sich selbst bezogen
- Denkverbote (nichts Schlechtes über den Verstorbenen denken)
- „Ich bin Schuld“
- Negativistisches Denken
- Nicht wahrhaben wollen
- Rationalisierungen (da muss ich durch, sie war ja schon alt, etc.)
- Veränderte Gedächtnisleistung
- Wahrnehmungsveränderungen
- Zwänge bzw. Zwangsverhalten (siehe z.B. Umgang mit Grab)
“Puh, das sind ganz schön viele!” denkst Du Dir jetzt vielleicht. Stimmt! 🙂 Und das ist OK. Das ist alles normal.
Was ich Dir damit sagen will ist: Trauer ist facettenreich. Es ist nichts falsch mit Dir, wenn Du Dich in einem oder mehreren der Trauersymptome wieder findest. Trauer ist keine Krankheit, auch wenn wir Trauer am liebsten nicht haben wollen. Sondern zunächst einmal eine normale Reaktion auf ein Verlusterleben, die sich auch körperlich und kognitiv äußern kann.
Wie lange ist es normal zu trauern?
Wie die Trauerreaktion im Einzelfall genau aussieht und wie lange “man” tatsächlich trauert, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Die Frage, die sich mir dabei stellst ist: Gibt es so etwas wie ein “danach”? Oder geht es in der Trauerarbeit und Trauerbewältigung eher darum, die Trauer als einen Teil von sich gesund zu integrieren? Dazu kann ich Dir auch dieses Interview im LEBEN. LIEBEN. LOSLASSEN. Podcast empfehlen.
In Deutschland wird oft vom “Trauerjahr” gesprochen, also das erste Jahr nach dem Tod eines geliebten Menschen, in dem es gesellschaftlich “akzeptiert” ist zu trauern. Die Realität sieht meiner Erfahrung nach anders aus. Ich möchte hier keine Zeitangaben teilen, da es aus meiner Sicht nicht die EINE Wahrheit gibt.
“Jeder Mensch ist einzigartig. So auch sein Umgang mit der Trauer.”
Faktoren, welche die Trauerreaktion beeinflussen
Die Heftigkeit der Trauerreaktion ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Dazu gehören u. a.:
- die Ursache der Trauer (z. B. Verlust durch Tod, Trennung oder Umzug)
- wer ist gestorben? wie nahe stand er/sie mir?
- die Todesursache
- Sonst: welchen Verlust betrauere ich? (Fähigkeiten, Identität etc.)
- welche Bewältigungsstrategien und Ressourcen habe ich? (z. B. Resilienz, Glaube, Werte, Humor, soziales Netz)
- wie sieht meine Alltagsstruktur aus?
- Vorerfahrungen mit Trauer (auch transgenerationale Themen)
Du siehst: Trauer ist mehr als nur traurig sein. Und damit sind wir schon beim nächsten Mythos.
Mythos Nr. 2: Trauer ist Traurigkeit
Hinter diesem Mythos verbirgt sich die Annahme, dass Trauer einen emotionalen Zustand beschreibt. Eben ein Gefühl von Traurigkeit. Aus meiner Sicht bedeutet Trauer neben intensiven Gefühlen auch Transformation und Maskenlosigkeit. Was meine ich damit genau? Das will ich Dir in den folgenden Abschnitten genauer erläutern.
Wie fühlt man sich bei Trauer?
Ohne Frage gleicht Trauer einer emotionalen Achterbahnfahrt. Im einen Moment fühlst Du eine tiefe Traurigkeit, vielleicht auch Hilflosigkeit und Verzweiflung. Plötzlich mischen sich darunter auch Schuldgefühle, die wiederum einen wutvollen Tsunami lostreten können.
Die folgende Auflistung verdeutlicht, wie vielfältig die Gefühlswelt in der Trauer ist.
Emotionale Trauerreaktionen
- Aggression
- Angst
- Das Gefühl, nicht lebensfähig zu sein
- Depression
- Deprimiertheit
- Einsamkeit
- Gefühl, in einem Alptraum zu sein
- Gefühl, wie benebelt zu sein
- Hilflosigkeit
- innere Leere
- innere Zerrissenheit
- Liebesunfähigkeit
- Nicht geliebt fühlen
- Scham
- Schock
- Schuldgefühle
- Schwere
- Sehnsucht
- Traurigkeit
- Unverstanden fühlen
- Verletztheit
- Vermissen
- Verzweiflung
- Wut
Bei aller Verzweiflung, Hilflosigkeit, Wut und Scham, die Trauer mit sich bringt, ist tatsächlich auch Freude ein Gefühl, das Teil der Trauer sein kann. Auch wenn es oft verpönt wird. Gemeint ist hier aus meiner Sicht die Freude am Leben – trotz und alledem. Denn ich bin überzeugt. DU DARFST auch in der Trauer glücklich sein.
Das klingt für Dich paradox? Dann hör Dir gerne dazu das Podcast-Interview mit Silvia Rößler zum Thema “Darf ich lachen, wenn ich traurig bin?” an. Hier sprechen wir auch darüber, wie Lachen ein Ventil im emotionalen Dampfkochtopf der Trauer sein kann.
Leben ist Fühlen. Das gilt besonders in der Trauer. Daher meine Einladung an Dich, wenn Du Dich in einer Trauer- oder Verlustsituation befindest: Erlaube Dir zu fühlen! Und hab den Mut auch über Deine Gefühle zu sprechen. Du bist nicht allein!
Wenn Du in Deinem persönlichen Umfeld aktuell niemanden hast, bei dem Du Dich vertrauensvoll öffnen kannst und Du Dir wünschst wieder mehr Vertrauen in Dich und das Leben zu spüren, dann schau gerne in unserem geschützten Mitgliederbereich von Lebensfreu(n)de vorbei und finde Deinen individuellen Weg, die Trauer gesund zu verarbeiten.
Trauer als individueller Transformationsprozess
Wenn Du diesen Blogartikel bis hierher gelesen hast, dann bist Du vielleicht schon mal über das Wort “Prozess” in Verbindung mit Trauer gestolpert. Es gibt in allgemeinen Lexika verschiedene Definitionen von Trauer. Aus meiner Erfahrung und der von Expert:innen in der Psycho- und Traumatherapie, ist Trauer weniger ein emotionaler Zustand, der durch einen Verlust getriggert wird und sich irgendwann per Knopfdruck wieder ausschalten lässt. Sondern Trauer ist vielmehr ein dynamischer Verarbeitungsprozess als Reaktion auf ein Verlusterleben unterschiedlicher Art.
“Trauer ist ein Transformationsprozess. Und zwar einer der individuellsten überhaupt.”
Savina Tilmann
Was macht Trauer mit einem?
Der Tod eines geliebten Menschen geht mit einem Verlust an gewohnten Sicherheiten und Ressourcen einher.
Ohne Frage ist da erstmal ein tiefer Schmerz, eine große Lücke, die so schnell nicht geschlossen werden mag. Im Moment des Verlustes fühlen wir uns nackt, verletzlich und oft maskenlos.
Gleichzeitig öffnet sich in der Trauer auch ein Raum für echte und authentische Begegnung. Von Mensch zu Mensch. So wie wir uns das eigentlich immer wünschen.
Aus eigener Erfahrung und aus den Erzählungen von anderen Trauernden weiß ich, dass wir in der Trauer der Quelle unserer Existenz, der Essenz des Lebens, ganz nahe sind. Hier besteht im Angesicht des Kontrollverlustes (= Tod, Endlichkeit) die Chance, unsere Masken fallen zu lassen, uns (wieder) von Mensch zu Mensch zu verbinden und zu erkennen, was wirklich zählt im Leben.
So gesehen ist Trauer für mich nicht nur ein Gefühl von Traurigkeit, sondern ein Transformationsprozess, der bei allem Schmerz auch sehr reinigend und verbindend wirken kann.
Mythos Nr. 3: Trauer ist nur leidvoll.
Damit sind wir beim dritten und letzten Mythos, den ich in diesem Beitrag näher beleuchten möchte. “Trauer ist nur leidvoll.”
Dieser Mythos steht für mich in enger Verbindung mit Deiner Sicht aufs Leben, Deiner Bereitschaft über den Tellerrand hinaus zu schauen und der Frage: Willst Du wirklich etwas verändern und Deine Trauer gesund verarbeiten? Oder fragst Du Dich eher…
Wann hört die Trauer wirklich auf?
Wenn Du jetzt merkst. Nee, lass mal. Trauer bewältigen heißt für mich einfach durch eine Phase des Leidens und Schmerzes zu gehen und dann wird es mit der Zeit schon wieder (Nach dem Motto: “Die Zeit heilt alle Wunden.”). In dem Fall magst Du an dieser Stelle vielleicht lieber aufhören zu lesen.
Wenn Du allerdings merkst, das was Du bisher in diesem Artikel gelesen hast, hört sich stimmig an, dann kann der folgende Punkt in Deiner Trauerverarbeitung echtes Gold wert sein. Und Dir helfen, weniger angstvoll auf das Leben allgemein zu schauen.
Bist Du bereit? Dann lass uns starten…
Trauer als Chance auf Wachstum
Ich sprach weiter oben von Trauer als Transformationsprozess. Der Weg durch die Trauer baut so gesehen die Brücke vom “Verlust des Gehabten hin zum Haben des Verlorenen” (S. Flemming). Das klingt vielleicht erstmal kompliziert. Worum es im Kern geht ist folgendes.
Trauer ist ein Lernprozess. Zugegeben ein sehr schmerzhafter. Aber Trauerverarbeitung ist auch eine Einladung an Dich zu erkennen, dass es im Leben Dinge gibt, die Du nicht vollumfänglich kontrollieren kannst. Ungewissheit und Kontrollverlust sind eben auch Teil des Lebens. So schwer uns das manchmal fällt zu akzeptieren.
Leben ist Wandel. Das ist der Rhythmus des Lebens. Die Natur macht es uns vor mit den Jahreszeiten, Gezeiten, dem Rhythmus von Tag und Nacht. Warum sollte es bei uns Menschen anders sein?
Bevor Du jetzt vielleicht innerlich rebellierst, lass mich Dir sagen: Hier geht es nicht um das Vergessen oder Verdrängen. Sonder um eine Einladung, Trauer als einen Transformationsprozess zu erkennen, bei dem neben all dem Schmerz auch eine Chance besteht, dass Dein Leben trotz eines Verlustes wieder lebenswert ist. Und Du daraus als Mensch sogar noch stärker, reifer, weiser und mitfühlender hervorgehst als zuvor.
Wenn die Trauer stärker macht
Psychologen sprechen in dem Zusammenhang auch vom posttraumatischen Wachstum. Das bedeutet, nicht an einem (potentiell) traumatischen Erlebnis zu zerbrechen und in der Rolle als Opfer der Umstände zu verharren. Sondern Du schöpfst daraus neue Kraft und findest einen Weg zurück ins Leben mit einer neuen Ordnung Deiner Prioritäten, Werte, Beziehungen und Gefühle.
Daher ist Trauer für mich nicht nur leidvoll, sondern ein Lernprozess, der bei allem Leid auch eine Chance auf persönliches Wachstum darstellt. Und das ist möglich, wenn Du Dir erlaubst zu sehen, dass das Leben – und damit auch die Trauer – nicht Dein Feind, sondern Dein Freund ist.
Fazit
Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Artikel helfen, Trauer jenseits von klassischen Phasenmodellen zu verstehen und Dir Mut machen, Deinen individuellen Weg in der Trauerbewältigung zu gehen.
Trauer ist keine Krankheit. Trauer ist nicht nur traurig und leidvoll. Sondern Trauer ist ein normaler und gesunder Prozess, der bei allem Schmerz und Leid auch sehr reinigend und verbindend sein kann.
Wenn Du Dich aktuell in einer Trauer- oder Krisensituation befindest und Du bereit bist, Dich Deinem persönlichen Transformationsprozess zu stellen und Deine Trauer gesund zu verarbeiten, dann ist der geschützte Mitgliederbereich von Lebensfreu(n)de vielleicht genau das Richtige für Dich. Wir freuen uns auf Dich!
Denn: Auch wenn die Situation nicht in Ordnung ist. DU BIST OK! Und Du bist nicht allein.
Was war Deine wertvollste Erkenntnis aus diesem Artikel? Was hat Dich überrascht oder zum Nachdenken gebracht?
Schreib es mir gerne in den Kommentaren.